Schriftenreihe „Visuelle Soziologie“ / Beltz Juventa
Herausgegeben von Aida Bosch, Roswitha Breckner, Michael R. Müller, Jürgen Raab und Hans-Georg Soeffner
Sehen ist natürlich und sozial zugleich. Das Unterscheidungs- und Erkenntnisvermögen des menschlichen Auges richtet sich auf die Naturwelt ebenso wie auf die Sozialwelt. Seine Aufmerksamkeit gilt der leiblichen Expressivität, der Symbolik sozialen Handelns und den mannigfaltigen Zeichensystemen des institutionellen Lebens. Gesellschaftlich wird es adressiert und geformt durch Ausdrucksweisen und Darstellungsmittel, in denen sich soziale Ordnungsmuster und kollektive Wissensbestände reproduzieren und weiterentwickeln. Sowenig das Sehen eine bloß abbildende Sinnesleistung ist, sowenig sind auch Bilder bloße Abbildungen von Wirklichkeit: Ob Geste oder Diagramm, ob Körperbild oder digitale Projektion, sie alle sind medial sichtbare Manifestationen des Sehens, des Zeigens und der Gestaltbildung, des Unterscheidens und der Vergemeinschaftung, der gesellschaftlichen Erkenntnis und des sozialen Handelns. Den Fragestellungen und Forschungsthemen der Visuellen Soziologie und der Weiterentwicklung ihrer Programmatik will die gleichnamige Schriftenreihe einen Rahmen und publizistischen Ort geben.
Band 1
Michael R. Müller / Hans-Georg Soeffner (Hrsg.), Das Bild als soziologisches Problem . Herausforderungen einer Theorie visueller Sozialkommunikation
Die soziologische Herausforderung, die sich aus der Tatsache eines gesellschaftlich weithin routinierten Alltagsgebrauchs moderner Bildmedien ergibt, besteht im Kern darin, die Bedeutung und die Folgen solch eines Bildmediengebrauchs für zeitgenössische und zukünftige Vergesellschaftungsweisen zu beschreiben.
Dass Bilder zu einem Alltagsgegenstand geworden sind und gesellschaftlich weithin routiniert als Mittel sozialer Alltagskommunikation Verwendung werden, mag eine zunächst triviale Feststellung sein. Weit weniger trivial ist indes die Frage, in welcher Art und Weise Bilder in die Wechselwirkungen zwischen Individuen eingreifen und welche Austausch-, Beziehungs- und Wissensformen so möglich werden. Die Autorinnen und Autoren des Bandes untersuchen Bilder dementsprechend als ein genuin „soziologisches Problem“ (Simmel). Sie diskutieren die Fundierung visueller Kommunikation in sozialen Urgrammatiken und kulturellem Regelwissen. Sie arbeiten die Bedeutung von Bildern für das Denken, Kommunizieren und Überzeugen heraus. Sie fragen nach der Genese global zur Verfügung stehender Bildsprachen und Wissensformen. Und sie verweisen auf die sozialen, moralischen und ästhetischen Freiräume, die die mediale Kommunikation mit (noch) unbestimmten Folgen für die Ordnung und das Selbstverständnis moderner Gesellschaften gewähren.
Band 2
Anne Sonnenmoser, Phantasma und Illustration. Genese und Struktur eines piktoralen Selbstdarstellungstypus
Die Kulissen moderner Bild- und Massenmedien bilden einen umfassenden Deutungshorizont für die Selbstdarstellung des Einzelnen. In ihrer massenmedialen Verfasstheit verleihen sie der Selbstdarstellung einander fremder Personen gemeinsame, die engen Grenzen von Kulturen, Milieus und Sozialbeziehungen überschreitende Bezugspunkte. In ihrer bildmedialen Verfasstheit versetzen sie den Körper jeweiliger Selbstdarsteller in den Status eines Bildes unter Bildern. Als Körper-Bild begriffen und reflektiert, dient der Körper nicht nur der Illustration der Person in dem, was sie ist, sondern wird zum Gegenstand der Erprobung und Umsetzung phantasmatischer Selbstentwürfe.
Band 3
Sybilla Tinapp, Visuelle Soziologie. Eine fotografische Ethnografie
Die fotografische Ethnografie von Sybilla Tinapp schlägt methodisch wie theoretisch einen neuen Ansatz in der visuellen Soziologie vor, der das analytische Typisierungspotential der Fotografie gezielt nutzt. In einer Fallstudie zu visuellen Typisierungen von lebensweltlichen Transformationen in Kuba wird das neue Verfahren der ›visuellen fotografischen Verdichtung‹ demonstriert und auf seine Brauchbarkeit hin getestet.
Band 4
Erving Goffmann, Geschlecht und Werbung, hrsg. von Michael R. Müller und Jürgen Raab
„Und wenn wir erkannt haben, was die Bildermacher aus den Materialien einer Situation zu machen wissen, dann geht uns vielleicht eine Ahnung auf, was wir möglicherweise selbst ständig tun“ (Goffman).
Erving Goffmans „Geschlecht und Werbung“ ist ein Klassiker der visuellen Soziologie. In dieser 1979 erstmals veröffentlichten Studie entdeckt er die kommerzielle Werbekommunikation als ausgezeichnetes Forschungsgebiet der Soziologie. Indem die Reklame, insbesondere in Gestalt der Fotografie, ihrem Publikum die gelebte Alltagsnormalität in stilisierter und idealisierter Gestalt vor Augen führt, trägt sie elementar zur gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit bei. Damit geben sich die technischen Kommunikationsmedien als elementare Ausdrucks- und Spiegelflächen der Selbstbeschreibung und Selbstwahrnehmung moderner Gesellschaften zu erkennen, und Goffmans vergleichende Bildanalysen vermögen zu zeigen, wie tiefgründig und weitreichend die Geschlechter in ihrem Darstellungshandeln durch einen sozialen Plan geprägt sind. Vier Jahrzehnte nach seinem Erscheinen und nachdem die deutsche Übersetzung bereits seit vielen Jahre vergriffen ist, liegt das Werk nun in vollständig überabeiteter, sowohl in Inhalt wie in Form wieder näher an die Originalausgabe herangeführten Fassung neu vor.
Schriftenreihe „Sozialwissenschaftliche Ikonologie – Qualitative Bild- und Videoanalyse“ / Barbara Budrich
Herausgegeben von Ralf Bohnsack, Aglaja Pryborski, Jürgen Raab und Thomas Slunecko
Bilder spielen im alltäglichen Verständigungsprozess durch ihr spezifisches Potenzial für die schnelle und verdichtete Informations- und Sinnvermittlung eine essenzielle Rolle. Avancierte qualitative Methoden haben ihren Schwerpunkt nach wie vor in der Textinterpretation. Die jüngere methodisch-methodologische Debatte um das Bild fokussiert, wie Bilder in ihrer Eigenlogik als empirische Ausgangsdaten kontrolliert interpretiert werden können. Die Reihe will diese für die Auseinandersetzung mit medialer und außermedialer Kommunikation wichtige Debatte beflügeln.
Die neueren qualitativen Methoden sind gerade dort, wo sie erhebliche Fortschritte zu verzeichnen konnten, in textinterpretativen Verfahren basiert. Diese zu einem Teil in der sprachwissenschaftliche Wende („linguistic turn“) fundierte methodische Präzisierung hat schließlich zu einer ‚Textfixierung’ qualitativer Methoden geführt.
Demgegenüber gilt es nunmehr, der Eigenlogik des Bildes, des Ikonischen, Geltung zu verschaffen. Es ist unmittelbar evident, dass das Medium des Bildes in unserer alltäglichen Verständigung bei Weitem nicht nur ergänzende Funktionen zur verbalen Kommunikation hat. Dennoch wird ihm – sofern das Bild überhaupt Beachtung findet – in weiten Bereichen der sozialwissenschaftlichen Forschung lediglich dieser Stellenwert zuerkannt. Von dem viel beschworenen „iconic“ oder „pictorial“ turn sind wir somit noch weit entfernt.
Die Reihe hat das Ziel, der Eigenlogik bildhafter Verständigung und ihrer kaum zu überschätzenden Bedeutung in der medialen und außermedialen Verständigung in methodisch anspruchsvoller Weise Rechnung zu tragen.
(9 Bände)