Gigantische Industrieanlagen, rauchende Schlote, bizarre Stahlkonstruktionen, arbeitende Menschen, schwere Maschinerie, all das eingehüllt in ein grobkörniges Schwarz-Weiß und angereichert mit ästhetischen Effekten wie Feuer, Funken, Rauch, Staub, Schmutz, roher Muskelkraft oder glänzendem Gestein. So lauten die Grundzutaten für Industriefotografien, die mit dem Prädikat ‚typisch Ruhrgebiet‘ ausgestattet werden. Obwohl solche ‚generischen Ruhrgebietsikonen‘ freilich genauso gut an anderen Orten der Welt entstanden sein könnten und entstanden sind, wird immer wieder betont, dass sie im Ruhrgebiet eine problematische Stellung einnehmen, da sie dort als »Mythosmaschinen« (Ralf Stremml) agieren. Gemeint ist damit, dass sie an einer stereotypen Vorstellung mitgewirkt haben, die sich vor den tatsächlich vorhandenen (post-)industriellen Ballungsraum geschoben hat und seine Wahrnehmung sowie das Verhalten ihm gegenüber beeinflusst. Dabei geraten sie einerseits unter den Verdacht, die Wirklichkeit zu idealisieren, indem sie etwa den Bergarbeiter heroisch überhöhen, andererseits werden sie für das notorisch schlechte image des Ruhrgebiets mitverantwortlich gemacht, demzufolge tatsächlich alles so grau ist, wie es die Bilder vor Augen stellen.
Das bildwissenschaftliche Dissertationsprojekt interessiert sich für den Anteil dieser ‚generischen Ruhrgebietsikonen‘ am Ruhrgebietsmythos und versucht sich diesem Problemkomplex über eine Historisierung der jeweiligen Bildfunktionen anzunähern. Funktion wird dabei im doppelten Sinne verstanden: einmal als gesellschaftlicher Zweck, den die Bilder zu erfüllen haben, aber auch als bildimmanente Funktionsweise, also der ästhetischen Eigenlogik, die ihnen als Bildern innewohnt. Dieser Zusammenhang aus politischen und ästhetischen Funktionen soll mit den von Martin Warnke und Horst Bredekamp unter Rückgriff auf Aby Warburg entwickelten Methoden der Politischen Ikonologie analysiert werden.
Die Arbeit gliedert sich in drei jeweils chronologisch angelegte Kapitel und reicht von der Gründung der Fotografischen Anstalt Krupp 1861 bis in die Gegenwart, wobei die Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bis ca. 1980 aufgrund der massenhaft einsetzenden Bildproduktion von größter Bedeutung ist. Das erste Kapitel konzentriert sich auf die bereits gut erforschten fotojournalistischen Reiseberichte zwischen 1920 und 1960, die mittlerweile zu den Klassikern der Ruhrgebietsfotografie zählen. Der hauptsächliche Fokus liegt jedoch zweitens auf den bisher kaum untersuchten Werkszeitschriften der Gelsenkirchener Bergwerks AG und der August Thyssen-Hütte AG als den Orten der systematischen und massenhaften Bildproduktion und -verbreitung. In diesen seit den 1920er Jahren entstehenden Zeitschriften fungieren die Bilder als politische »Ausgleichserzeugnisse« (Warburg), da sie zwischen den Interessen der Industriellen und den Bedürfnissen der Arbeiterschaft vermitteln. Seit den 1980er Jahren erfahren die Bilder jedoch einen entscheidenden Funktionswandel, da sie aus Unternehmens- in Museumsarchive wandern und so zu »Wiedergebrauchs-Bildern« (Assmanns) werden, die laut zahlreicher Publikationen des Ruhr Museums das »kulturelle Gedächtnis« der Region formieren. Deshalb sollen drittens Ausstellungskataloge, Bildbände, Archive, Industriedenkmale, stadtplanerische Werbemaßnahmen und Bahnhofsvorhallen in den Blick genommen werden, da ihnen als den Orten des geschichts- und erinnerungskulturellen Wiedergebrauchs jener historischen Bilder ebenfalls ein genau zu ermittelnder Anteil am Bild-Mythos-Ruhrgebiet zukommt.