Thema des Vortrags
Missmut und Agitation sind der Schatten von Social Media. Facebook, Twitter oder Blogs bieten die besten Voraussetzungen, um Unzufriedenheit zu äußern und eine aggressive Einflussnahme zu betreiben. Die Empörungs- und Manipulationswellen wurden unter dem Begriff ›Shitstorm‹ bekannt. Der Anglizismus taucht in aktuellen Diskussionen immer dann auf, wenn über den ›Hass im Netz‹, ›Cyber-Mobbing‹ oder die ›Macht der Namenlosen‹ in einer ›digitalen Öffentlichkeit‹ berichtet wird. Die digitale Diffamierung beginnt mit der Empörung einzelner Menschen und entwickelt sich aufgrund technologischer Bedingungen zu einer heftigen Auseinandersetzung vieler Sender und Empfänger. Die Herabwürdigung und Missachtung des Gegenübers besteht beim ›Shitstorm‹ nicht in physischer Gewalt, sondern erfolgt über die Macht der Sprache und Medien. Rupert Gaderer entfaltet in seinem Vortrag die Mediengeschichte und die gesellschaftliche Tragweite des digitalen ›Sturms der Entrüstung‹.
Über die Reihe „Kleine Gefühle“
Auf der Palette derjenigen Gefühle, die zuletzt viel Presse und (auch wissenschaftliche) Aufmerksamkeit erhalten haben, scheinen komplementäre und stark leuchtende Emotionen vorzuherrschen. Allein starke Leidenschaften scheinen politische Debatten zu befördern, die mehr denn je als Privatangelegenheit verhandelt werden: Hass tritt aller Orten auf und hat als vitalisierende Kraft Debatten belebt und Taten herausgefordert, die uns in Bann schlagen; Liebe wird als Gegenmittel angerufen, vermisst oder als Utopie denunziert. Mitgefühl wird eingefordert, Trauer zelebriert, Überlegenheit genossen, Ohnmacht verteufelt.
Was ist daneben mit den kleinen Gefühlen, die in weder in ihrer Niedertracht noch in ihrer Grandiosität für Furore sorgen können? Wie steht es um den Mißmut, der sich beispielsweise angesichts der gerade beschriebenen Lage auf ganz alltägliche Art und Weise bahn brechen kann, wie können wir die ganz normale Boshaftigkeit beschreiben, welche Erzählungen gibt es über die alltägliche Eifersucht, welche Bilder produziert die durchschnittliche Missgunst und wie klingt die nur leise vorhandene Unzufriedenheit?
In einer Vorlesungsreihe möchten wir uns mit den sogenannten „kleinen Gefühlen“ beschäftigen, zu denen wir nicht nur jene rechnen, die niedriger dosiert sind als ihre umwerfenden Gegenstücke auf der Liebe-Hass-und-Edelmut Seite, sondern auch solche, die als niedere Empfindungen das weniger beliebte Gefühl des Hochnotpeinlichen auslösen. Zusammengefasst: wir interessieren uns in dieser Reihe für alles, was „die Weisheit, die von oben kommt“ untergräbt, „die irdische, weltliche, teuflische Weisheit“ (Jak. 3, 15) in Form jener Gefühle, über die keiner gern spricht, außer bei uns.