Als die fotografischen Bilder damit begannen, mit nachhaltigem Erfolg den Kunstmarkt zu erobern, hatte das nichts mit Mittelmaß zu tun –– ganz im Gegenteil. Spätestens zur Mitte der 1980er Jahre wurde es viele Fotograf*innen geläufig, ihre künstlerischen Aussagen im großen, zuweilen sogar riesigen Bildformat zu formulieren. Das sogenannte fotografische Großtableau wurde zum ästhetischen Signum einer ganzen Generation, zu der neben zahlreichen Vertreter*innen der sogenannten Düsseldorfer Schule auch der kanadische Fotograf Jeff Wall (*1946) gehört. Ein äußeres Zeichen für die frühe und sodann anhaltend hohe Anerkennung, die er als Künstler erlangen konnte, mögen dabei sogleich mehrere Einladungen zur Teilnahme an der „documenta“ in Kassel gewesen sein. Allerdings stimmt auch: In der Zwischenzeit hat sich das Feld der künstlerischen Fotografie grundlegend gewandelt. Insbesondere vor dem Horizont einer dezidiert politisch verstehenden Kunstproduktion — die documenta 14 von 2017 war hierfür ein besonders deutlicher Ausdruck — scheint kaum etwas so sehr außer Kurs geraten wie die einst so anerkannte Formel des fotografischen Tableaus. Was sich vorderhand als eine Frage zur Ästhetik der Skalierung diskutieren lässt, gewinnt allerdings schnell einen weiter reichenden Sinn: Wie kann die Fotografie heute auf die gesellschaftlichen Diskurse der Gegenwart nicht allein reagieren, sondern bestenfalls in diese auch aktiv eingreifen? Hat sich die von Wall und anderen seit den späten 1970er Jahren entwickelte Ästhetik überholt, ist sie sozusagen ins Mittelmaß zurückgesunken, oder aber lässt sich in diesen Werken ein Moment politischer Dringlichkeit ausmachen, dass es für die Debatten unserer eigenen Zeit relevant erscheinen lässt. Anhand eines Durchgangs durch das Oeuvre von Jeff Wall will Steffen Siegel diese Fragen zur fotografischen Zeitgenossenschaft diskutieren.
Prof. Dr. Steffen Siegel lehrt als Professor für Theorie und Geschichte an der Folkwang Universität der Künste in Essen und leitet dort den wissenschaftlichen Master-Studiengang „Photography Studies and Research“, der den Fragen zu Theorie und Geschichte der Fotografie gewidmet ist.
Seit 2016 leitet er gemeinsam mit Thomas Hensel (Hochschule Pforzheim) und Martin Mäntele (HfG-Archiv Ulm) das von der VolkswagenStiftung geförderte Forschungsprojekt „Gestaltung ausstellen. Die Sichtbarkeit der HfG Ulm: Von Ulm nach Montréal“ (bis zum Jahr 2020).
Zuvor war er von 2009 bis 2015 Juniorprofessor für Ästhetik des Wissens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dort leitete er die Projektgruppe „Laboratorium der Objekte“, deren Forschungsergebnisse in der Schriftenreihe „Laborberichte“ in bislang elf Bänden erschienen sind. In den Jahren 2011 und 2012 war er Research Fellow am Internationalen Forschungskolleg „Morphomata“, Center for Advanced Study der Universität zu Köln.
Nach der Dissertation „Tabula. Figuren der Ordnung um 1600“ (Berlin 2009) zählen zu jüngeren monographischem Veröffentlichungen „Belichtungen. Zur fotografischen Gegenwart“ (München 2014) und „Ich ist zwei andere. Jeff Walls Diptychon aus Bildern und Texten“ (München 2014) sowie die von ihm herausgegebene Quellenedition „Neues Licht. Daguerre, Talbot und die Veröffentlichung der Fotografie im Jahr 1839“ (München 2014). Ausgezeichnet wurde diese Edition 2014 mit dem Forschungspreis für Photographie-Geschichte der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh) und 2017 mit dem Sonderpreis „Geisteswissenschaften International“. Eine englische Übersetzung dieses Buches erschien 2017 unter dem Titel „First Exposures. Writings from the Beginning of Photography“.
Zuletzt erschien „Fotogeschichte aus dem Geist des Fotobuchs“ (Göttingen 2019).