10.07.

Mi / 18:00 – 20:00

Vortrag: Stadt und Heritage als neue Nahbeziehung

Sybille Frank, Fachgebiet Stadt- und Raumsoziologie, Institut für Soziologie, TU Darmstadt

Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI), Goethestraße 31, 45128 Essen

Seit den 1970er Jahren lässt sich (nicht nur) in den westeuropäischen Industrienationen ein regelrechter Geschichtsboom beobachten: Städte begehen ihre historischen Jahrestage mit großen Feiern, veranstalten Mittelaltermärkte und Altstadtfeste und restaurieren oder rekonstruieren aufwändig ihre historischen Zentren und Gebäudefassaden. Nahezu täglich werden neue Museen, Denk- und Mahnmale eingeweiht, Relikte und Rituale in den Stand des Erinnerungswürdigen erhoben, und der Tourismus um historische Sehenswürdigkeiten erklimmt immer neue Höhen: Historische Stoffe, offenbar begriffen als ein für die Gegenwart relevantes und daher erhaltenswertes Erbe, haben und machen also Konjunktur. Der Umstand, dass sich um das kulturelle Erbe inzwischen eine ganze Industrie rankt, von der nicht nur kommunale, nationale und transnationale öffentliche, sondern in zunehmendem Maße auch unterschiedlichste private Akteure profitieren, ist in der jüngeren anglo-amerikanischen Forschung unter dem Begriff der „heritage industry“ zusammengefasst worden. Der Vortrag wird diese in Deutschland bislang kaum rezipierten sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungsansätze rekonstruieren und sie einer kritischen Analyse unterziehen. Anschließend wird die These entwickelt, dass Stadt und Erbe nach Jahren der Fern- neuerdings eine Nahbeziehung führen: Die Zunahme von Kämpfen um Erbe in heutigen kulturalisierten Städten zeigt, dass Erbe nicht nur eine Ökonomisierung, sondern auch eine Popularisierung erfahren hat, und dass immer mehr soziale Gruppen über die Repräsentation ‚ihres‘ Erbes im öffentlichen Raum ihre Position in der Gegenwartsgesellschaft zu bestimmen versuchen –mit unterschiedlichen Durchsetzungschancen.