11.07. – 12.07.

Workshop: Kulturen des Kompromisses

Interner Workshop

Ort: Kulturwissenschaftliches Institut Essen (KWI), Goethestraße 31, 45128 Essen

Geschlossene Veranstaltung

Es wird einen öffentlichen Abendvortrag am 11. Juli geben.

Der Kompromiss ist eine der grundlegenden Techniken für den Umgang mit sozialen Konflikten. Er besteht – so der weitgehende Konsens der Forschung – in einer freiwilligen Vereinbarung mindestens zweier individueller oder kollektiver Parteien oder ihrer Vertreter, in der diese ihren durch kollidierende Ansprüche entstandenen Konflikt durch eine in Verhandlungen erzielte Regelung entschärfen, die auf wechselseitigen Konzessionen beruht. Eine solche Regelung kann den Parteien allerdings auch durch dritte Instanz vorgeschlagen werden. Die Bereitschaft zu Kompromissen und den damit verbundenen Konzessionen beruht in der Regel darauf, dass alternative Formen des Umgangs mit einem sozialen Konflikt weniger attraktiv sind: ein gewaltsamer Konfliktaustrag geht mit hohen Konfliktkosten einher und kann auch mit der Kapitulation enden; bei anderen Entscheidungsverfahren wie der Mehrheitsentscheidung können die Parteien leer ausgehen; die Entscheidung durch Dritte wie Gerichte kann zu suboptimalen Ergebnissen führen.

Trotz der Ubiquität und Bedeutung von Kompromissen für die Funktionsfähigkeit historischer wie gegenwärtiger menschlicher Gesellschaften insgesamt ist das systematische Wissen über den Kompromiss – wie ein Blick in die Forschungsliteratur zeigt – höchst begrenzt. Nach wie vor ist bisher noch nicht systematisch erforscht:

  • was einen Kompromiss ausmacht,
  • welche Arten von Kompromissen es gibt,
  • wie er sich von anderen verwandten Praktiken (wie etwa dem deal) abgrenzen lässt,
  • für welche gesellschaftlichen Materien (Interessen, Wertdissense, etc.) er sich eignet,
  • welche individuellen, sozialen, institutionellen und kulturellen Voraussetzungen Kompromisse möglich machen oder verhindern,
  • was die Fähigkeit und Bereitschaft zu Kompromissen fördert oder erodieren lässt,
  • was Versuche der Kompromissbildung scheitern lässt,
  • welche Bedingungen die Dauerhaftigkeit und Stabilität von Kompromissen stärken oder schwächen,
  • wie Kompromisse als akzeptabel oder inakzeptabel, fair oder unfair, gerecht oder ungerecht,
  • gerechtfertigt oder (moralisch) fragwürdig legitimiert oder kritisiert werden.

Darüber hinaus scheinen gegenwärtig die Voraussetzungen und Bedingungen für Kompromisse – etwa durch die wachsende gesellschaftliche Differenzierung und Pluralisierung einerseits sowie die Polarisierung der Parteien in sozialen Konflikten andererseits – prekärer zu werden. Das zeigt sich zum einen im öffentlichen Diskurs, in dem die Bereitschaft zum Kompromiss zuletzt immer häufiger als wesentliche, aber prekäre Ressource für den gesellschaftlichen Zusammenhalt thematisiert wurde. Das zeigt sich zum anderen aber auch darin, dass auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften das Interesse am Kompromiss wieder gestiegen ist (s. die Literaturhinweise am Ende).

Der unzureichende Forschungsstand sowie der offensichtlich gewachsene Bedarf an praktischem Handlungswissen für die Förderung der Fähigkeit und Bereitschaft zu Kompromissen sind ausreichende Gründe für ein Forschungsvorhaben zu den Kulturen des Kompromisses. Da es sich beim Kompromiss um eine historisch situierte und sozial und kulturell eingebettete Technik zur Lösung sozialer Konflikte handelt, müssen bei der Beantwortung der genannten Fragen die historischen, sozialen und kulturellen Kontexte vergleichend in den Blick genommen werden.

Die erste Möglichkeit eines solchen vergleichenden Zugriffs besteht im Vergleich der Rolle und Funktion von Kompromissen in unterschiedlichen sozialen Handlungsfeldern – Familie, Schule/Bildung, Wirtschaft, Recht, Politik, etc. – und der Reflexion auf diese Rolle und Funktion in den entsprechenden Bezugswissenschaften – Psychologie, Pädagogik, Ökonomie, Rechtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft.

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, die Rolle und Funktion von Kompromissen in unterschiedlichen sozialen Gruppen in den Blick zu nehmen. Von besonderem Interesse dürfte dabei die Frage sein, ob es etwa geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Fähigkeit und Bereitschaft zu Kompromissen gibt.

Eine dritte Möglichkeit besteht im historischen Vergleich der Rolle und Funktion von Kompromissen in unterschiedlichen Gesellschaftsformationen.

Eine vierte Möglichkeit besteht im interkulturellen Vergleich der Rolle und Funktion von Kompromissen. Solche Analysen lassen sich mit Blick auf unterschiedliche Nationalkulturen {vgl. Greiffenhagen 1999), aber auch mit Blick auf unterschiedliche Zivilisationen/Religionskulturen vornehmen. Ebenso ließen sich unterschiedliche politische Großideologien (Konservatismus, Liberalismus, etc.) daraufhin vergleichen, welchen Stellenwert und welche Funktionen dem Kompromiss zugeschrieben wird.

Darüber hinaus bedarf es fünftens begriffsgeschichtlicher Analysen sowie der Reflexion auf Begriff und Begriffsverständnisse (es gibt nicht nur kein Lemma zum Kompromiss in den „Geschichtlichen Grundbegriffen“, das Stichwort selbst taucht nur wenige Male auf). Diese unterschiedlichen Zugänge lassen sich selbstverständlich miteinander kombinieren (etwa in Form vergleichender Untersuchungen von sozialen Handlungsfeldern in unterschiedlichen Gesellschaftsformationen, im internationalen Vergleich oder in unterschiedlichen Zivilisationen). Es dürfte zugleich deutlich geworden sein, dass sich die aufgeworfenen Fragen nur interdisziplinär gewinnbringend beantworten lassen.

Der bisherige Forschungsstand in den einzelnen Disziplinen und zu diesen unterschiedlichen Möglichkeiten einer Erforschung von Kompromisskulturen soll in einem ersten Workshop in Form von Probebohrungen vorgenommen werden. Erwünscht sind daher Beiträge aus der Perspektive einzelner Disziplinen ebenso wie Beiträge, die eine der oben entfalteten Möglichkeiten erkunden. Es soll sich um Impulsbeiträge von nicht länger als 15 Minuten handeln. Das Ziel des workshops besteht darin auszuloten, ob und in welcher Weise sich das Thema der Kompromisskulturen als Fragestellung und Gegenstand eines kollektiven Forschungsformates der Universitäten Bochum, Essen/Duisburg und Münster eignet. Angestrebt ist es, einen Kreis von ca. 15-20 Personen für diesen Workshop zu gewinnen.