Hautfarbe und ihre gesellschaftliche Wirkmacht sind ein gegenwärtig vielleicht besonders prominentes Thema politischer Fragestellungen im „Melanin Millennium“ (Hall, Russel, Wilson). Fotografische Bilder spielten und spielen in den unterschiedlichen Diskursen der Hautfarbe auf vielfältige Weise eine gewichtige Rolle, sei es als Instrumente (pseudo-)wissenschaftlicher Erkenntnisgewinnung, polizeilicher Überwachung, oder als emanzipatorisches Mittel künstlerischer Kritik oder politischer Proteste.
Das Forschungsprojekt richtet den Blick jedoch weniger auf ikonografische Fragestellungen dieser Diskurse als vielmehr auf die besonderen technischen Produktionsbedingungen von Fotografien. Denn die mediale Spezifik fotografischer Bilder lässt sich neben ihrer Herstellung mittels elektromagnetischer Wellen um eine weitere Beschreibung ergänzen: Im Akt ihrer Erzeugung existiert ein kleiner Moment, der dem menschlichen Zugriff entzogen ist, weil er automatisch und entlang optischer, chemischer oder elektronischer Gesetzmäßigkeiten stattfindet. Dies führt zu Bildern, deren Weltverhältnisse sich nicht unbedingt durch formale Ähnlichkeit des Dargestellten, wohl aber durch eine gewisse Kausalität der Referenz auszeichnet. Dennoch ist diese Referenzialität nicht frei von kulturellen Zurichtungen und historischen Kontingenzen, auch wenn Wirklichkeitsversprechen und Affektivkraft des Fotografischen oft das Gegenteil suggerieren. Gerade wenn menschliche Körper in den fotografischen Blick gelangen, ist dies problematisch. Deshalb soll die epistemische, ästhetische und politische Wirkmacht der Erzeugnisse vom Standpunkt ihrer Erzeugung, genauer gesagt der Herstellung der Erzeugungsbedingungen aus betrachtet werden. Dabei wird der fotografische Apparat als ein machtvolles, historisches Dispositiv diskutiert, das technologische und kulturelle Konzepte sozio-politischer Normalität „co-produziert“ (Jasanoff). Denn das Machtverhältnis zwischen automatischem, aber menschengemachten Apparat und menschlichem Nutzer zeichnet sich durch ein Wechselspiel technischer Affordanzen und sozialer Performativitäten aus, die sich sowohl stabilisieren, dialektisch ergänzen wie ebenso unterlaufen. So wird das Dispositiv der digitalfotografischen Produktion, Prozessierung und Rezeption von Hautfarbe gleichermaßen auf seine soziale Konfiguration wie politische Implikation befragt.
Damit knüpft die bild- und medienwissenschaftliche Untersuchung an Forschungen zur kolonialen Frühgeschichte der Fotografie, zu den Emulsionen des Farbfilms und an gegenwärtige Analysen von Gesichtserkennungstechnologien an und schließt so eine Forschungslücke für die digitale Fototechnik. Anhand von kulturhistorischen Fallstudien werden in einem diskurstheoretischen Vorgehen und mittels qualitativer Analysemethoden verschiedene Stellen des Apparatdispositivs untersucht. Dazu zählen die für die Beschreibung von Hautfarbe entscheidenden Konfigurationen in einem Plural aus Hardware und Software, die von bildgebenden Schnittstellen und bildverarbeitenden Programmen über ihre gemeinsamen Standards und Vorschriften reichen. Schließlich werden ebenfalls verschiedene Diskurse der Fototechnikkritik als gleichsam wirkmächtige, kollektive Erzählungen der Technik in den Blick genommen.
Auch im Sinne einer kritischen Bildkompetenz will das Projekt so zu einem genaueren Verständnis der technologischen Rahmung unserer Interaktion mit und der Nutzung von digitalen Medien beitragen, da jenes Verständnis auch Voraussetzung für die Entwicklung neuer digitaler Technologien ist.