Anlass und Ausgangspunkt der Tagung ist der nur noch in Fragmenten erhaltene NS-Propagandafilm Theresienstadt. Eine Dokumentation aus dem jüdischen Siedlungsgebiet. Der 1944 gedrehte Film ist – gerade wegen seiner propagandistischen Zielsetzung – ein bedeutendes Dokument der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden während des zweiten Weltkrieges und damit des Vollzugs der Shoa innerhalb seiner institutionellen, machtpolitischen und weltanschaulichen Voraussetzungen, Strukturen und Ideologien. Dennoch konnten die Bedeutung und die Funktion dieses Films, der in Mythen befördernder Perversion ein Ghetto und Durchgangslager als soziales Idyll und ‚Mustersiedlung’ in Szene setzt, auch mit Hilfe von Zeitzeugenberichten bislang allenfalls in Einzelaspekten geklärt werden. Sowohl die überlieferten Filmfragmente als auch die vorhandenen Zeitzeugenberichte werfen weit mehr Fragen auf, als sie unmittelbar beantworten könnten. Fragen, denen im Rahmen der Tagung nachgegangen werden soll. So lenken die Fragmente des Theresienstadtfilms und die überlieferten Zeitzeugenberichte die Aufmerksamkeit ihrer Rezipienten (1) auf mehrere möglichen und sich möglicherweise widersprechenden und sich überlagernden Funktionen des Filmes als Propagandainstrument oder als Medium der Übermittlung im Film versteckter subversiver Botschaften. Immer wieder ergeben sich bei der Sichtung der Fragmente und Zeitzeugenberichte (2) Fragen nach dem Status des Theresienstadt-Ghettos, dem zeitgleich die Funktion eines Durchgangslagers und Filmschauplatzes, einer Hinrichtungsstätte und nicht zuletzt einer Legitimationsinstanz nationalsozialistischer Außenpolitik zukam. Letzteres erlaubt die Hypothese Theresienstadt als ein institutionalisiertes ‚Experimentierfeld‘ strategischer NS-Rassenpolitik zu begreifen. Schließlich (3) sind das Lager und die Filmfragmente den Überlebenden oft genug ein Anlass, in ihren Berichten das komplizierte Verhältnis von Herkunft und Zukunft, von erlebter Geschichte und kollektiver Zugehörigkeit in unterschiedlicher Weise und in unterschiedlichem gesellschaftspolitischem Selbstverständnis zu thematisieren.
Die Tagung setzt sich zum Ziel, die Verunsicherungen, Widersprüche und Fragestellungen, die sich aus den Filmfragmenten und Zeitzeugenberichten durchaus in Zusammenschau und im Vergleich mit weiteren historischen Dokumenten ergeben, aufzugreifen und aus historischer, filmwissenschaftlicher, philosophischer und soziologischer Perspektive zu verhandeln.
Das Programm mit allen Vorträgen können Sie hier einsehen.
Weitere Informationen finden Sie auf der Projektseite hier.
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Programm, Mittwoch 06. November 2019
12.00-12.30
Prof. Dr. Julika Griem (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) Einführung & Begrüßung
12.30-13.30
Prof. Dr. Hans-Georg Soeffner (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) Vernichtung als Kulturpolitik
13.30-14.20
Dr. Teresa Walch (Hebrew University Jerusalem) Kampf um Raum: The Raumwirtschaft and Place-Making in the Theresienstadt Ghetto
14.50-15.40
Dr. Natascha Drubek (Editor in Chief | Apparatus) Why Kurt Gerron? On the Choice of Theresienstadt’s “Spielleiter” in 1944
15.40-16.30
Dr. Ehrhardt Cremers (TU Dresden) Zur Kritik der historiographischen Interpretations- und Rezeptionsgeschichte des 2. Theresienstadt-films aus kulturhistorischer Perspektive
17.00-18.00
Dr. Daniel Palmieri (International Committee of Red Cross Geneva, Schweiz) Immobile Images: Photographing Theresienstadt
18.30-19.30
Prof. Dr. Moshe Zimmermann (Hebrew University Jerusalem) Theresienstadt – System in madness
Programm, Donnerstag 07. November 2019
11.00-11.50
Dr. Zvi Semel (Jerusalem Academy of Music & Dance) Libera me, Domine, de morte æterna…: – Verdi’s Requiem in Ghetto Theresienstadt
11.50-12.40
Dr. Hanan Harif (Hebrew University Jerusalem) Moses Woskin-Nahartabi and Arabic in Theresienstadt.
14.00-14.50
Prof. Dr. Jürgen Raab (Universität Koblenz-Landau, Campus Landau) Selbstenthüllung in Spiegelschrift. Hermeneutische Analysen der Wirklichkeit von Theresienstadt im nationalsozialistischen Propagandafilm
14.40-15.40
Dr. Harriet Scharnberg (MAGmove, Hamburg) Der Theresienstadtfilm im Kontext der NS-Propaganda über die Ghettos
16.00-16.50
Dr. Sebastian Schönemann (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig) Das Ghetto im Bildgedächtnis des Holocaust. Repräsentation und Rezeption
16.50-17.10
Lara Pellner (Kulturwissenschaftliches Institut Essen) & Dr. Marija Stanisavljevic (Unvierstät Koblenz-Landau, Campus Landau) Film und Erinnerung
17.10-18.00
Dr. Sara Yanovsky (Hebrew University Jerusalem) „Theresienstädte”: History, Memory, and the Children of Theresienstadt
18.30-19.30
Prof. Dr. Gabriele Rosenthal (Universität Göttingen) Erleben – Erinnern – Erzählen: Spuren von Traumatisierungen in biografischen Erzählungen