Vortrag:“Missmut, Agitation und Social Media“

Zwischen Hashtags, vergoldeten Steaks und fiktiver Gewalt an Katzen entfalten sich in Sozialen Netzwerken schnell Empörungswellen, die sich (scheinbar unkontrolliert) von ‚Empörungsrinnsalen‘ zu handfesten ‚Tsunamis der Wut‘ auswachsen. Social Media böten „Räume des exzessiven Streits“, so der Medienwissenschaftler Rupert Gaderer (RUB), der am 15. Januar in der KWI-Reihe „Kleine Gefühle“ über „Missmut, Agitation und Social Media“ referierte.

Die Kulturtechnik des öffentlichen Beschämens habe eine lange Tradition in der westlichen Kulturgeschichte. Doch während im 13. Jahrhundert Menschen physisch und buchstäblich an den Pranger gestellt wurden, verlagere sich der sprichwörtliche Pranger im 21. Jahrhundert in digitale Räume. Diese seien der optimale Nährboden für die Verbreitung von Behauptungen und Verschwörungstheorien, die sich rasant zu Shitstorms entwickelten, so Gaderer – denn der Reiz des Skandalösen sei stark.

Die Infrastruktur Sozialer Medien begünstige, dass in kleinem Format, „groß“ gestritten werden könne, ohne dass eine kohärente Argumentationskette aufgebaut werden müsse. Ein differenzierter Diskurs werde dadurch verhindert. Die mutmaßlich instantane Wirkung des Kommentierens auf Twitter und Co., gepaart mit der Mühelosigkeit des Vorgangs, erwecke zudem das Bedürfnis, sich mitzuteilen. So entstünde eine regelrechte Beschwerderoutine, die gleichermaßen herbeigewünscht und gefürchtet sei.

Denn letztlich formen Shitstorms öffentliche Diskurse und seien somit eng mit der Frage nach Macht und Handlungsmacht verbunden. Während Institutionen und Menschen viel Kraft aufwenden, Strategien zu entwickeln, Shitstorms aktiv abzuwenden und zu kanalisieren, werden sie andererseits kalkuliert herbeigeführt, um eine Agenda zu setzen und Stimmungen anzufachen und zu agitieren.

Diese Dynamik griff auch das interessierte Publikum auf und verwies auf die Rolle von Social Bots und die Schwierigkeit, Shitstorms und aufkeimende Empörungswellen differenziert einzuordnen. Der Umgang mit derartigen digitalen Dynamiken ist ein Thema, das zunehmend auch aus wissenschaftlicher Perspektive in den Blick genommen wird, insbesondere in der Publizistik, der Medienpädagogik und der Rechtswissenschaft.