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Podiumsdiskussion zu Faschismustheorien heute

Im Rahmen des Workshops „Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung“ fand am 19.9.2024 eine öffentliche Podiumsdiskussion mit Luce deLire, Alex Demirovic und Tatjana Söding statt. Moderiert von Organisator Morten Paul fragte sie danach, ob angesichts des Aufschwungs rückschrittlicher politischer Formierung auch eine neue Theoretisierung des Faschismus nötig sei. Philosophin Luce deLire betonte zunächst, dass der Faschismus als eine spezifische politische Bewegung der Industrialisierung zu verstehen sei, deren Paradigmen die Fabrik und die Masse sind. Dagegen hätten wir es heute durch die Digitalisierung mit einer dezentralen und fragmentierten Mobilisierung zu tun, in der politische Radikalisierung stattfinde. Die etablierten Institutionen der parlamentarischen Demokratie hätten es, so deLire, verpasst, sich angesichts dieser Veränderung neu zu entwerfen, wodurch es extremrechten Akteuren gelungen sei, die Lücke zu füllen. Der Frankfurter Soziologe Alex Demirović diskutierte daran anschließend zunächst das Verhältnis zwischen Normalzustand und Ausnahmezustand: Während er den historischen Faschismus als Bruch mit den Institutionen und Prozessen der Vorkriegsdemokratien charakterisierte, wäre nun eher das Agieren extrem rechter Parteien und Politiker*innen innerhalb dieses Rahmens das Problem, zumal es ihnen zunehmend gelänge, die politische Agenda zu setzen und ein gewalttätiges Klima zu erzeugen.

Die Humanökologin Tatjana Söding brachte mit dem Klimawandel einen Aspekt in die Diskussion ein, der als zentral für die Verschärfung der politischen Konflikte gelten kann: Die Leugnung des Klimawandels sei zu einem Bindemittel extrem rechter Politik geworden, die sich die Bewahrung von „Normalität“ auf die Fahnen geschrieben habe. Das wiederum, argumentierten sowohl Söding als auch Demirović, habe eine direkte Beziehung zum Diskurs um Grenzverschärfungen und Einschränkung von Asyl und Migration, für deren Ursachen die Industrienationen zugleich maßgeblich mitverantwortlich seien. Obwohl diese Zusammenhänge allen klar seien, erzeuge die Situation vor allem Lethargie. So arbeitete Söding als eine der wichtigsten Aufgaben des Nachdenkens über Faschismus heute heraus, zu ergründen, wie Engagement heute animiert und auf Dauer etabliert werden könne. Demirović erwähnte die Bedeutung von Bildung und Aufklärung für diesen Prozess, die, so deLire, unter den aktuellen medialen Bedingungen neu erfunden werden müssten.

Die ersten Publikumsrückfragen artikulierten zunächst ein Ungenügen angesichts der vorgebrachten Analysen und Vorschläge und fragten nach konkreten Schlussfolgerungen. Moderator Morten Paul hob daraufhin noch einmal hervor, dass die zahlreichen bereits existierenden Theorien über Faschisierungsprozesse ihr Wiederauftauchen nicht verhindert hätten. Ein Umstand, der den Ausgangspunkt für die Diskussion gestellt habe: Man teile, so Paul, mit dem Publikum die Ratlosigkeit und wolle darüber ins Gespräch kommen. Im Anschluss thematisierte das Publikum die wachsende Rolle der Justiz und insbesondere der Verfassungsgerichtsbarkeit in politischen Aushandlungsprozessen sowie den Umstand, dass die aktuellen konfliktbehafteten Probleme von hoher Komplexität sind und deshalb keine schnellen oder simplen Lösungen ermöglichen. Das Podium reagierte darauf mit einem Appell für eine stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im alltäglichen Leben, um extrem rechten Ideologien entgegenzuwirken. Dabei wurde betont, dass ein konstruktiver Streit für eine gerechtere und nachhaltigere Gestaltung der wirtschaftlichen Grundlagen des Zusammenlebens unerlässlich sei.

Text: Morten Paul

Über die Tagung „Was war Faschismustheorie“ ist ein Artikel im Neuen Deutschland erschienen sowie ein Tagungsbericht auf H Soz Kult.