Spätestens seit Beginn des Kalten Krieges sind die Verfahren künstlicher Kälte zu konstitutiven Elementen moderner Gesellschaften geworden. Insbesondere in westlichen und urbanisierten Regionen ist mittlerweile nahezu jeder Aspekt des Alltags von Kühltechniken durchzogen: wir kühlen Nahrungsmittel, organische Substanzen und medizinische Güter ebenso wie technische Geräte und Motoren bis hin zu Transportmitteln, Gebäuden oder ganzen Städten.
Im Zuge dessen haben sich hochkomplexe Territorien der Kältetechnik entfaltet: von Krankenhäusern über Fabriken, Büros und Hotels bis zu Flughäfen, Logistikzentren, Supermärkten und Kryobanken. Dieses Netzwerk aus Kühlketten und klimatisierten Räumen bildet eine energieintensive Infrastruktur, die längst planetare Ausmaße erreicht hat: eine künstliche Kryosphäre.
Angesichts des gewaltigen Energiebedarfs dieser Technologien droht der Hunger nach den Segnungen künstlicher Kälte jedoch, jegliche Bestrebungen der Reduktion globaler Erwärmung zunichte zu machen. Dies verweist auf ein Paradox: die Erwärmung des globalen Klimas aufzuhalten oder gar umzukehren, macht es erforderlich, die Energie für seine Kühlung drastisch zu reduzieren.
Das Ziel des Projekts “Cultures of the Cryosphere” ist es, die kulturellen Bedingungen und Faktoren zu ergründen, die unseren Umgang mit künstlicher Kälte prägen. Wir untersuchen die Dynamiken und Merkmale kryogener Kultur anhand von multi-lokalen Fallstudien in den Bereichen Lebensmittelversorgung, Klimatisierung, Biomedizin und Computertechnik. Dafür entwickeln wir neue methodische Zugänge, die unterschiedliche Ansätze aus der Kulturwissenschaft, der Geographie, der digitalen Begriffsgeschichte und der Technikphilosophie verbinden.
Bis 2030 soll eine erste geografische Kartierung der globalen Kryosphäre und eine umfassende historische Rekonstruktion ihrer Entstehung vorlegen. Ebenso werden ethnografische Studien lokaler Kühlpraktiken und eine philosophische Analyse der Werte und Normen entstehen, die mit diesen Verfahren verknüpft sind. Hiermit wollen wir nicht nur den vielfältigen Einfluss von Kühltechnik auf moderne Kulturen nachzeichnen, sondern auch zur Diskussion darüber anregen, wie ein gerechterer und nachhaltigerer Umgang mit künstlicher Kälte aussehen könnte.