Eine Veranstaltung der Reihe „Wenn und Aber“ im Rahmen des Jahresthemas „Mehr oder Weniger“ . Eine Aufzeichnung des Vortrags finden Sie hier. Der Vortrag wurde auch im Rahmen der Hörsaal-Reihe im Deutschlandfunk ausgestrahlt. Den Podcast finden Sie hier.
Ein Gespenst geht um, nicht nur in Europa: Es ist das Gespenst in der Maschine. Die einen vermeinen in ChatGPT und anderen large language models (LLM) die Vorboten einer kommenden körperlosen Superintelligenz zu erkennen, während die anderen darin blind plappernde stochastische Papageien sehen. Nicht nur in dieser Binarität zeigt sich, wie stark das Denken über die neuen künstlichen Intelligenzen cartesianischen Prämissen verhaftet bleibt, sondern auch in der einseitigen Fokussierung auf die Frage nach dem möglichen Bewusstsein solcher Systeme. Beides wird der Neuartigkeit des Phänomens nicht gerecht. Stattdessen gilt es zu fragen, was wir eigentlich tun, wenn wir mit LLMs interagieren – und was LLMs tun, wenn sie Sprache oder Bilder produzieren. Sind sie Urheber, Partner im gemeinsamen Handeln oder bloße Werkzeuge unseres ausgedehnten Geistes? Verschieben sich Schöpfung und Korrektur lediglich in der Logik eines Mehr-oder-Weniger? Der Vortrag unternimmt eine Annäherung an die Interaktion mit LLMs im Spannungsfeld zwischen Autoren, Agenten und Aktanten in der geteilten sozialen, symbolischen und materiellen Welt.
ZUR PERSON
David Lauer studierte Philosophie, Soziologie und Religionswissenschaft in Marburg und Berlin, wo er an der Freien Universität promoviert wurde und sich 2017 habilitierte. Nach Stationen in Berlin, Gießen und Hildesheim lehrt er seit 2016 Philosophie an der Universität Kiel. Er befasst sich insbesondere mit der Philosophie der Sprache und des Geistes und mit Fragen der Subjektivität und Intersubjektivität. Er ist regelmäßiger Kommentator des Philosophie-Magazins „Sein und Streit“ im Deutschlandfunk Kultur.
Über die Reihe „Wenn und Aber“
Was passiert, wenn man ein Buch mit einer KI zusammen schreibt? Wenn Sprache nicht mehr nur allein imaginäre, sondern auch reale Bilder erschafft? Was, wenn alles Entscheidende sich zwischen den Dingen ereignet und nicht in Blackboxes von Platinen oder Hirnschalen?
Was diese Fragen eint, ist das aufregende Projekt, mit dem “Parlament der Dinge” (der Technik, den Medien, der Natur) Ernst zu machen und sie gleichberechtigt in künstlerische Prozesse einzubeziehen. Obwohl Roland Barthes mit seinem Aufsatz La mort de l’auteur schon 1968 zu bedenken gab, dass dem Autor/der Autorin womöglich weitaus geringere Bedeutung zukomme als bisher angenommen (nämlich keine), ist in zeitgenössischen Diskussionen um Kunst und Literatur zunehmend wieder von einem emphatischen Autorschaftkonzept die Rede, das romantische Annahmen vom schöpferischen Genie reproduziert.
Digitale Literatur, generative Verfahren im Design oder der Bilderstellung, die mittels sprachgesteuerter Bildgeneratoren den alten Zwist zwischen iconic und linguistic turn neu perspektivieren, sind nur einige aktuelle Möglichkeiten, die das Schreiben, Denken und Gestalten als stetigen Rückkopplungsprozess zwischen Objektwelt und Bewusstsein verstehen und – im Rückgriff etwa auf den Surrealismus und dessen Techniken des automatischen Schreibens – mehr geschehen lassen, als selbst zu produzieren. Wo Absurditäten von KI-generierten Bildern und Texten als feature eines Werkes hervortreten oder Natur als Vorlage einer Nicht-Ich Welt aufscheint, wird Kunst zur kollaborativen Aushandlung. Solche künstlerischen Experimente bauen den Autor:innengenius ab und halten nicht länger an einer Sonderstellung des Menschen fest. Aber verschwindet deswegen das künstlerische Subjekt? »Is the artist necessary for making art today«? Die vom KWI Essen und der Folkwang Universität der Künste gemeinsam organisierte Reihe »Wenn und Aber« widmet sich in den ersten drei Veranstaltungen diesen Verschiebungen des Auktorialen in der Kunst und diskutiert das emanzipatorische Potential von ästhetischen Formen des kollaborativen Schreibens und Gestaltens zwischen Mensch und Dingwelt.