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Rettet die Jugend!

Was kann Jugend heute sein angesichts eines „Meers der Polykrisen“? Diese Frage stellten sich die KWI-Forscherinnen Laura M. Reiling und Anja Schürmann bei der Betrachtung aktueller Phänomene in ihren je eigenen Forschungsfeldern, der Gegenwartsliteratur sowie der zeitgenössischen Fotografie. Um heutigen Darstellungen von Jugend in Fotografie, Literatur und Popkultur auf den Grund zu gehen, empfingen sie am 23. April 2025 die Literaturwissenschaftlerin Christine Lötscher (Universität Zürich) und den Fotografen Neven Allgeier im Gartensaal des KWI zum Abend „Rettet die Jugend! Literaturbetrieb und Fotografie„.

Für die Literaturwissenschaftlerin Christine Lötscher ist Jugend – so schwer diese auch zu fassen ist z.B. aufgrund unscharfer Altersgrenzen und ideologischer Spaltungen – seit jeher eine Denkfigur, durch die sich die Gegenwart (gesellschaftskritisch) abbilden lasse, zugleich würden auf Jugendliche Probleme der Erwachsenenwelt projiziert. Seit der Jugendserie „Buffy“ aus den 90er/2000er Jahren blickt sie auf Jugenddarstellungen in der Popkultur, zuletzt etwa auf „Euphoria“. Eine derartige Polarisierung zwischen Jungen und Mädchen, wie sie sich in der vielbeachteten Serie „Adolescence“ manifestiere, habe es laut ihren Beobachtungen so noch nicht gegeben. Hier wie im realen Leben stünden toxische Männlichkeitsfantasien auf Social Media in starkem Kontrast zu von ihr pop-feministisch gelesenen Büchern des New Adult-Genres.

Im Gegensatz dazu zeichnen sich die Portraits Jugendlicher von Neven Allgeier durch eine fluide Unschärfe aus, die Geschlechtergrenzen verwischt und durch die Unschärfe der Bilder in den Hintergrund rückt. Geschlechtlichkeit wirkt in seinen Bildern weniger sichtbar und wichtig, für Allgeier drückt dieses „Auraförmige“ (Anja Schürmann) seine eigene Schwierigkeit aus, diese Generation „zu fassen“ und zu kategorisieren, so ausdifferenziert erscheint ihm Jugend in ihren mannigfaltigen Ausformungen heute.

So blieben in der Diskussion auch Fragen nach der „Verkapselung“ der Jugend, ihren liminalen, mitunter ephemeren Räumen, ihrer agency und politischen Dimension, dem nostalgischen Blick auf Jugend, dem Wert von Arbeit, der Rolle von Klasse und dem Verlust des Müßiggängerischen in aktuellen Jugenddarstellungen nicht unerwähnt, ebenso wie die Turbo-Kommerzialisierung des New Adult-Genres. Dabei ist New Adult für Lötscher längst kein guilty pleasure mehr, für sie ist es vielmehr bisweilen ein Fall von Fremdscham des Buchhändlers geworden, der sich für den Verkauf boomender, sexuell aufgeladener Girlie-Literatur an eine starke weibliche Leserschaft, die sich auf BookTok präsentiert, genieren mag.