HINWEIS: ZUM 01.01.2021 WECHSELT DER FORSCHUNGSBEREICH PARTIZIPATIONSKULTUR AN DIE RUHR UNIVERSITÄT BOCHUM.
Der 2013 eingerichtete transdisziplinäre Forschungsschwerpunkt Partizipationskultur ist eines der ersten wissenschaftlichen Kompetenzzentren zum Thema Partizipation und Bürgerbeteiligung. Ausgehend vom langfristigen Wertewandel und den gestiegenen Möglichkeiten der Mobilisierung und Vernetzung durch die Digitalisierung verändern sich Städte, Gemeinden und Länder zu Räumen partizipativer Demokratie und transformieren die Beteiligungskultur im Lande. Die Beteiligung der Bürgerschaft und organisierter Interessengruppen findet dabei kontinuierlich zwischen Konflikt und Gestaltung statt: Dem Januskopf der Bürgerbeteiligung.
CHANGE AGENTS VS WUTBÜRGER*INNEN
Auf der einen Seite stehen die sogenannten Change Agents oder Pioniere des Wandels, die gemeinsam mit anderen Initiativen starten und vormals staatliche Aufgaben eigeninitiativ übernehmen sowie Impulse für die kommunale Entwicklung setzen. So beispielsweise für eine sozial-ökologische Transformation in Bioenergiedörfern, Klimakommunen, Energiegenossenschaften, Reperaturcafes, FabLabs, Bar Camps und urbane Gärten. Anderseits prägen Widerstand und Protest das Bild: In Erscheinung tritt Bürgerbeteiligung dabei im Konflikt, der Ablehnung politischer Großvorhaben und der Missachtung von Politik und Verwaltung. Im Blickpunkt stehen oft einzelne Infrastrukturvorhaben, die tiefgreifende Eingriffe in die Lebenswelt sowie Risiken und Nachteile für die Betroffenen vor Ort bedeuten. NIMBYs (Not in my backyard) und Wutbürger*innen sind schillernde Beschreibungen dieses Phänomens, die in Stuttgart den Großbahnhof verhindern, in Berlin das Tempelhofer Feld erhalten wollen oder in Bayern gegen die „Monstertrassen“ am Ostbayernring protestieren.
DIALOGORIENTIERTE BETEILIGUNGSPROZESSE
Im Mittelpunkt der Analysen des Forschungsbereichs Partizipationskultur stand dabei in den letzten Jahren die Frage, unter welchen Bedingungen offene, auf Dialog ausgerichtete Austausch- und Mitwirkungsprozesse der Bürgerbeteiligung gelingen können. Welche Beiträge liefern diese zur Lösung von Konflikten? Welchen demokratischen Maßstäben sollen diese Prozesse genügen, um Anerkennungswürdigkeit bei den Bürger*innen zu erlangen? Wie sollten die Prozesse konkret ausgestaltet sein, damit sich nicht Partikularinteressen durchsetzen, sondern sich die Ergebnisse der Beteiligung am Gemeinwohl und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung orientieren? Und schließlich: Wie können informelle Formen der dialogorientierten Bürgerbeteiligung wirksam an politische Prozesse in Stadt- und Gemeinderäten, Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen geknüpft werden – auf lokaler, regionaler, bundespolitischer oder europäischer Ebene?
ALLHEILMITTEL VOLKSENTSCHEID?
Die Projekte der Partizipationskultur beforschen Energiewende und Netzausbau, die sozial-ökologische Transformation und die Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure sowie Herausforderungen der partizipativen Technikfolgenabschätzung und der Generationengerechtigkeit. Zukünftig wird sich der Forschungsbereich verstärkt mit Interaktion und Integration von Beteiligungsformaten in komplexe Systeme und Strukturen befassen. Ausgehend von Städten und Gemeinden in Deutschland entwickeln sich alternative Systeme der zusammengesetzten Repräsentation Diese kombinieren auf pragmatische Art herkömmliche Legitimationsmodi wie Wahlen und Delegation in Parlamenten und Verwaltungen mit direktdemokratischen Abstimmungen (Volksbegehren, Befragungen) sowie unmittelbaren Beteiligungsformen (Stadtversammlungen, Runde Tische, Bürgerräte). Diese Entwicklungen der Demokratie benötigen eine kritische Begleitung durch anwendungsorientierte Partizipationsforschung.